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Angela Martin:

Zwangsarbeit für die
Dreilinden Maschinenbau GmbH

1. Das Projekt

Seit Frühjahr 2000 arbeite ich im Auftrag der Berliner Geschichtswerkstatt zum Thema "Zwangsarbeit für die Dreilinden Maschinenbau GmbH". Dieser Rüstungsbetrieb, eine 100prozentige Tochter von Bosch, lag in Kleinmachnow bei Berlin, nahe am Autobahnring. Hier wurden Teile für Flugzeugmotoren produziert. Direkt auf dem Fabrikgelände der Dreilindenmaschinenbau GmbH (DLMG) befand sich das KZ-Außenlager Kleinmachnow, das von Sachsenhausen aus verwaltet wurde. Die etwa 800 Polinnen, die hier leben und arbeiten mussten, sind fast alle während des Warschauer Aufstands von 1944 verhaftet und nach Deutschland verschleppt worden; sie kamen zunächst nach Ravensbrück und wurden im September und Oktober 1944 in das Außenlager Kleinmachnow überstellt.

In der Öffentlichkeit ist merkwürdigerweise fast nichts bekannt über die DLMG, obwohl hier bis zu 5.000 Menschen gearbeitet haben, darunter etwa 2.700 Kriegsgefangene, ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlinge. Außerdem sind in Kleinmachnow noch etliche Spuren der DLMG sichtbar: z.B. der einstige Eingangsbereich der Firma am Stahnsdorfer Damm - dort ist jetzt die Biologische Bundesanstalt untergebracht - oder die Bosch-Siedlung, die nach dem Krieg in Gemeindeeigentum überführt wurde. In einem Waldstück kann man zudem noch Fundamente eines Barackenlagers für ZwangsarbeiterInnen finden, nicht weit entfernt steht eine gut erhaltene Wohnbaracke, die die DLMG für deutsche Mitarbeiter hat errichten lassen. Unter einer begrünten ehemaligen Mülldeponie ist wahrscheinlich der Keller der Werkshalle K 24 begraben, in dem die Häftlinge des Außenlagers untergebracht waren. In der darüberliegenden, etwa 10.000 m2 großen Halle haben sie gearbeitet.

Die DLMG und das Außenlager Kleinmachnow sind bisher weiße Flecken in der Geschichtsschreibung. Es gibt keine Literatur dazu, die Quellenlage ist schlecht. Dr. Rudolf Mach (vgl. seinen Artikel in diesem Reader) ist der erste, der sich mit dem Werk und den ZwangsarbeiterInnen befasst hat, die hier arbeiten mussten. Er untersucht vor allem die Geschichte der DLMG und in diesem Zusammenhang auch technische Fragen, während ich mich auf das Thema Zwangsarbeit für die DLMG, vor allem auf den Einsatz von KZ-Häftlingen konzentriert habe.

Zur Buchmesse im Oktober 2001 wird die Geschichtswerkstatt eine Dokumentation in polnischer und deutscher Sprache über das KZ- Außenlager und die Geschichte der DLMG herausgeben. Dabei sollen Interviews mit Zeitzeuginnen im Mittelpunkt stehen. Mit Unterstützung der Gedenkstätte Ravensbrück bereiten wir auch eine Ausstellung vor. Außer mir arbeiten die Übersetzerin und Publizistin Ewa Czerwiakowski und die Fotografin und Kamerafrau Hucky Finn Porzner an dem Projekt mit.

 

2. Die Suche nach Zeitzeuginnen

Die Suche nach Zeitzeuginnen war sehr zeitaufwendig. Zunächst habe ich Opferverbände in Deutschland und Polen sowie Rechtsanwälte angeschrieben, die ehemalige ZwangsarbeiterInnen vor Gericht bei Klagen gegen Bosch vertreten haben - erfolglos. Der Internationale Suchdienst in Bad Arolsen hat unsere Anfrage bisher nicht bearbeitet.

Die Archive der Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen waren für die Suche nach einzelnen Zeitzeuginnen nicht hilfreich, denn dort finden sich nur die Mädchennamen der Häftlinge, zudem gibt es keine Adressen, und Datenschutzbestimmungen erschweren zusätzlich die Suche.

Erfolg hatte ich überraschenderweise mit dem Versuch, Frauen direkt anzuschreiben, die 1972 als Zeuginnen in einem Ermittlungsverfahren der Zentralstelle Ludwigsburg vernommen worden waren. Obwohl dieses Ermittlungsverfahren schon fast 30 Jahre zurückliegt und die Adressen entsprechend alt waren, konnte ich auf diesem Wege zwei Zeitzeuginnen kontaktieren. Eine weitere Überlebende habe ich mit Hilfe von Herrn Dr. Mach gefunden. Diese Frau ist 1995 im Rahmen eines Besuchsprogramms in Kleinmachnow gewesen. Während der Gedenkfeiern zum 55. Jahrestag der Befreiung der KZ Ravensbrück und Sachsenhausen habe ich Briefe in polnischer Sprache mit meinem Anliegen verteilt und in Oranienburg durch Vermittlung von Thomas Irmer zwei Frauen kennengelernt, die im Außenlager Kleinmachnow inhaftiert waren. Diese Zeitzeuginnen haben im Klub Sachsenhausen von unserem Projekt berichtet. Daraufhin bekam ich zahlreiche Briefe aus Warschau.

 

3. Die Gespräche mit den Zeitzeuginnen

Ende Juni fand dann im Warschauer Klub Sachsenhausen ein Treffen von 13 Frauen statt, die uns in einem Gruppengespräch über Deportation, Haft und Zwangsarbeit berichtet haben. Das Treffen war von einer sehr emotionalen Atmosphäre geprägt. Die Zeitzeuginnen haben viel geweint, aber auch viel gelacht,  insgesamt war die Stimmung eher freudig. Immer wieder haben sich die Polinnen dafür bedankt, dass sich endlich jemand für ihre Geschichte interessiert. Ich hatte ein wenig befürchtet, dass das Gespräch in der großen Gruppe vielleicht etwas unstrukturiert verlaufen könnte. Aber die Frauen waren sehr gut vorbereitet, und so verlief das Gespräch nicht nur ausgesprochen herzlich, es war auch sehr informativ.

Später haben wir auch Einzelinterviews geführt bzw. in kleineren Gruppen mit den Überlebenden gesprochen. Einige der Zeitzeuginnen hatten nämlich eine Freundin und Leidensgefährtin eingeladen, um uns bei den aufwühlenden Gesprächen nicht allein gegenüber sitzen zu müssen. So haben wir bei den Vorbereitungen für die kommenden Interviews den Frauen vorgeschlagen, sich zu zweit mit uns zu treffen.

Auf dem Weg der persönlichen Vermittlung konnten wir weitere Adressen bekommen, und im Oktober sind wir noch einmal nach Warschau, außerdem nach Krakau und Kattowitz gefahren, um Interviews zu machen. Bis jetzt konnten wir rund 25 Überlebende befragen.

Lebensgeschichtliche Interviews sind eine problematische Quelle: Die Erinnerungen sind subjektiv gefärbt, und wenn die Ereignisse, wie in unserem Fall, mehr als 55 Jahre zurückliegen, gibt es natürlich Lücken, Verwischungen und Verwechslungen. So nimmt es nicht wunder, dass die Berichte der Zeitzeuginnen in einigen Details etwas widersprüchlich waren. Insgesamt haben sie uns aber ein recht deutliches Bild von den Verhältnissen im Außenlager Kleinmachnow und den Arbeitsbedingungen in der Werkshalle K 24 vermittelt.

Wahrscheinlich seien die Berichte “geschönt”, warnte uns die Vorsitzende des Klubs Ravensbrück , die bei dem zweiten Gruppengespräch in Warschau zugegen war. Sie dürfte Recht haben. Denn zum einen haben sich die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen mehrfach dafür entschuldigt, dass sie uns Dinge erzählten, die uns belasten könnten. Zum anderen haben sie oft betont, dass sie sich lieber an die positiven Erfahrungen in Kleinmachnow erinnern (z.B. dass ein Vorarbeiter ihnen heimlich etwas Essen gebracht hat) als an die negativen (etwa Quälereien der Aufseherinnen). Schließlich konnte ich einige lebensgeschichtliche Interviews mit Zeugenaussagen aus dem Ermittlungsverfahren der Zentralen Stelle Ludwigsburg vergleichen: In den Gesprächen mit uns erschien die Haftzeit in weitaus milderem Licht als in den Zeugenvernehmungen für die Zentrale Stelle. Eine unserer Gesprächspartnerinnen war Opfer von gynäkologischen Experimenten - wir wissen das aus den Ermittlungsprotokollen der Zentralen Stelle Ludwigsburg. Als wir diese Frau besucht haben, erwähnte sie diese Experimente zunächst nicht. Als wir sie schließlich danach fragten, brach sie in Tränen aus und war nicht in der Lage, darüber zu sprechen.

Oft hatten wir auch den Eindruck, dass die Zeitzeuginnen erleichtert waren, nachdem sie uns von ihren Erlebnissen berichtet hatten. Einige haben uns von Schicksalsschlägen berichtet, über die sie sonst nie reden. Diese Sprachlosigkeit macht sie wahrscheinlich noch einsamer, als sie es ohnehin mit ihren Erinnerungen an Haft und Verfolgung sind.

Gegen Kriegsende wurden alle Häftlinge des Außenlagers Kleinmachnow nach Sachsenhausen geschickt und von dort aus auf den berüchtigten Todesmarsch getrieben. Die meisten Überlebenden kehrten in das völlig zerstörte Warschau zurück, wo sie zunächst völlig damit beschäftigt waren, eine Familie zu gründen und sich eine Existenz aufzubauen. Gesundheitliche Probleme erschwerten vielen den Neuanfang. Die meisten unserer Gesprächspartnerinnen leiden bis heute an physischen und/oder psychischen Folgen der Verschleppung und KZ-Haft. Fast alle hatten nach der Befreiung jahrelang gynäkologische Probleme, viele haben erst sehr spät Kinder bekommen. Unsere Gesprächspartnerinnen sind alle sehr familienorientiert, daher ist diese (zeitweilige) Unfruchtbarkeit für viele der Frauen die schlimmste Haftfolge gewesen. Vielleicht sind die gynäkologischen Probleme Auswirkungen einer hormonellen Behandlung im KZ-Außenlager Kleinmachnow. Jedenfalls sagten alle Zeitzeuginnen, dass sie dort keine Menstruation hatten. Das sei keine Folge der Unterernährung gewesen, wurde uns immer wieder versichert, man hätte ihrem Essen vielmehr ein Mittel gegen die Menstruation zugefügt, um hygienischen Problemen vorzubeugen.

Die Frage der Entschädigung wurde von den Zeitzeuginnen selbst nie angesprochen. Wenn wir sie danach gefragt haben, wurde – trotz aller Höflichkeit – Enttäuschung und Verärgerung darüber deutlich, dass die Auszahlungen immer wieder verschoben wurden. Die Entschädigung sei vor allem auch eine Geste, heißt es oft, da das, was die ZwangsarbeiterInnen an Erniedrigungen und Quälereien erfahren mussten, mit Geld nicht wieder gut zu machen sei. Die Schacherei um die Entschädigung ist auch eine Geste - eine beschämende, unwürdige Geste.

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